Am „Future of Meat Forum Vienna“ in Hanni Rützlers futurefoodstudio wurde drei Tage lang über Alternativszenerien zum weltweit steigenden Fleischkonsum diskutiert. Ein Rückblick.
In großen Teilen der westlichen Industriegesellschaften ist die jahrhundertealte Sehnsucht nach mehr Fleisch bereits gestillt. In den USA stagniert der Konsum, wenn auch auf hohem Niveau. In Deutschland ist er sogar schon rückläufig. In anderen Weltregionen, insbesondere in den aufstrebenden Schwellenländern, nimmt er jedoch weiter deutlich zu. Die wachsenden Mittelschichten in Asien und Lateinamerika haben immer mehr Lust auf Fleisch, auf jenes Lebensmittel, das in fast allen Kulturen dieser Welt als edelstes, wertvollstes gilt, dessen Genuss lange ein Vorrecht der Mächtigen und Reichen war und daher zum Symbol für den sozialen Aufstieg wurde. Laut Schätzungen der UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO) könnte sich die weltweite Fleischproduktion bis zum Jahre 2050 daher annähernd verdoppeln. Mit all den negativen Folgen für Klima, Umwelt, Biodiversität und letztlich auch für jene Menschen, die auch dann noch nicht in den Genuss der begehrten tierischen Lebensmittel kommen. Von tierethischen Fragen, die sich bei der industriellen Massentierzucht stellen (und nur diese Produktionsweise ist heute in der Lage, die prognostizierten Fleischmengen herzustellen), ganz zu schweigen. Aber wird der weltweite Fleischkonsum wirklich so dramatisch ansteigen? Gibt es keine Alternativen zum „Weiter wie bisher“? Und wenn doch: Welche anderen Szenarien wären denkbar? Welche sind realistisch und worauf könnten sie sich stützen? Fragen, die zuletzt auch beim Future of Meat Forum Vienna aus ganz unterschiedlichen Perspektiven gestellt und diskutiert wurden. Fleisch zwischen Genuss und Überdruss: Vier alternative Szenarien für morgen Im Mittelpunkt des dreitägigen Symposiums in Hanni Rützlers futurefoodstudio stand eine interaktive Installation der niederländischen Social Concept Designerinnen Madelaine und Anne Berlis, die vier mögliche Zukunftsszenerien jenseits des „Weiter wie bisher“ thematisierte. Szenarien, die auch die Food Trend Expertin Hanni Rützler als Gastgeberin des Future of Meat Forums schon in ihrem „Foodreport 2015“ vorgestellt und - aus der Perspektive der europäischen KonsumentInnen - einer ersten Bewertung unterzogen hat. Aus der Perspektive jener KonsumentInnen also, für die Fleisch allmählich seinen Status als esskulturelles Leitprodukt verliert, für die Fleisch und Fleischprodukte nicht mehr das kulinarische Nonplusultra sind und für die sich die Wahrnehmung tierischer Lebensmittel allmählich verändert. Beeinflusst durch immer wiederkehrende Fleischskandale, anhaltende Gesundheits- und Nachhaltigkeitsdebatten, tierethische Diskurse, vor allem aber auch durch die deutliche kulinarische Aufwertung von Gemüse und Getreideprodukten, die - ausgehend von der Spitzengastronomie - nun mehr und mehr auch in der Alltagsgastronomie zu beobachten ist. Nicht zuletzt aber, so Rützler bei einer der drei Podiumsdiskussionen des Symposiums, „ist der Fleischkonsum für uns so normal geworden, dass er keinen Statusgewinn mehr verspricht.“ Und damit vor allem für viele junge Konsumenten an Attraktivität verliert. Szenario 1: Less Meat - Zurück in die Zukunft Dies erst mache den Weg frei für neue qualitative Differenzierungen, woraus sich das erste Alternativszenario ableiten lasse: „Less & local“, wie es Madelaine und Anne Berlis in ihrer Installation nennen und wie es im Rahmen des Future of Meat Forums unter dem Motto „Zurück in die Zukunft“ diskutiert wurde. Und das meint, wie einst so auch in Zukunft deutlich weniger, dafür aber hochwertigeres Fleisch zu genießen. Ein wünschenswertes, aber - darin waren sich die Diskussionsteilnehmer weitgehend einig - keine eins zu eins auf die Allgemeinheit übertragbare Option. Mit den Flexitariern, so Hanni Rützler, könne man zwar einen Trend beobachten, der diese Konsumform propagiert, gleichwohl, so der einschränkende Kommentar von Georg Schweisfurth, dem sich auch der österreichische Unternehmer und Biobauer Martin Rohla angeschlossen hat, dürfe man die massiven Interessen der Fleischindustrie nicht unterschätzen, die mit billigen Fleischwaren weiterhin einen Großteil der Konsumenten eine fleischreiche Ernährung schmackhaft mache. Und das, wie die Produktionsdaten zeigen, auch ganz unabhängig von den Bedürfnissen der (einheimischen) Konsumenten: So setzt die Fleischindustrie in Deutschland weiter auf eine Ausweitung der Produktion und - mangels entsprechender Nachfrage im Inland - verstärkt auf den Export. Schon heute nähert sich die Exportmenge deutscher Fleischprodukte dem Inlandsverbrauch. Zurück in die Zukunft bzw. „less & local“, das sei, so Willi Klaffl, der sich auf seinem Landschaftspflegehof auf die Zucht gefährdeter Tierrassen konzentriert, auch ein wichtiger Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität. Nicht nur für die Artenvielfalt der Nutztiere, die langfristig nur gesichert werden könne, wenn die Tiere auch gegessen werden, sondern auch der Gräser und Kräuter, die ihnen auf der Weide als Nahrung dienen. Ein - aus ökologischer Perspektive - kein unwichtiges Argument, das gleichwohl für Vegetarier und Veganer dennoch keine Option darstellt. Szenario 2: No Meat & As-if-Meat - Fleischlos mit Ersatzprodukten Sie leben und proklamieren eine komplett fleischlose Ernährungsalternative. Ein Szenario freilich, das in Zukunft ebensowenig mehrheitsfähig sein wird, auch wenn die Anzahl der Veganer und Vegetarier langsam im Steigen ist und von ihren Protagonisten als einzig sinnvolle Alternative zum Omnivoren Lebensstil proklamiert wird. Bei der zweiten Podiumsdiskussion am Future of Meat Forum, an der neben Hanni Rützler und Madelaine Berlis die niederländische Eating-Designerin Marije Vogelzang, die Geschäftsführerin der veganen Swing Kitchen, Irene Schillinger, sowie Nina Mohimi von der Coolinary Society teilgenommen haben, wurde insbesondere problematisiert, dass in unserer Esskultur auch die fleischlosen Esser noch weitgehend in einer auf Fleisch konzentrierten Geschmacks- und Rezepturenwelt gefangen seien, in der fleischlose Ernährung oft nur mit Fleischersatzprodukten funktioniere, mit dem Tofu-Schnitzel als Signatur Dish. Durch gezielte Verarbeitung ist es zwar gelungen, dem traditionellen, aus Sojabohnen gewonnen, eiweißhaltigen Lebensmittel eine durchaus fleischähnliche Konsistenz zu verleihen, sodass Tofu und ähnliche Produkte wie Seitan bei vielen traditionellen Gerichten das Fleisch ersetzen können. Der Makel des Ersatzproduktes, der „richtiges Fleisch“ damit unfreiwillig immer noch adelt, bleibt ihnen dennoch haften. Hanni Rützler nennt diese Produkte daher auch „Übergangslebensmittel“, Produkte, die eine mögliche fleischärmere Zukunft im Kontext einer karnivoren Esskultur zwar unterstützen, für deren Durchbruch die kulinarische Aufwertung von genuinen Gemüse- und Getreidegerichten aber essentieller sei. Rützler sieht darin nicht zuletzt auch die Chance, dass sich die FAO-Prognose der Verdoppelung des weltweiten Fleischkonsums vielleicht doch nicht bewahrheiten müsse: Wenn die europäischen Eliten sich mehr und mehr über den Genuss kreativer Gemüsegerichte definieren, warum sollte dies nicht auch - schneller als sich dieser Trend in Europa entwickelte - in den aufstrebenden asiatischen Mittel- und Oberschichten möglich sein, die - anders als in Deutschland - auf eine große Tradition kulinarisch ansprechender vegetarischer Gerichte zurückgreifen können? Eine völlig andere, phantastische und irritierende Perspektive eröffnete in diesem Zusammenhang Marije Vogelzang mit ihrem Projekt „Faked Meat“, in dem sie danach fragt, wie unser Fleischkonsum und unsere Beziehung zu Tieren aussehen könnte, wenn wir Fleisch „ganz neu denken“; wenn wir „neue Tiere“ als lebende Fleischersatzprodukte erfinden oder - statt Katze und Hund - Schweine und Lämmer als glückliche Haustiere halten würden, die - via Biopsie - als lebende Spender von Muskelstammzellen für unsere kleine, lokale In-vitro-Fleischfabrik dienen und zugleich unseren Biomüll verfuttern. So absurd diese künstlerische Intervention vielen auf den ersten Blick erschienen ist, so inspirierend wirkte sie auf die Teilnehmer des Workshops, in dem die diversen Szenarien nochmals durchgespielt wurden. Szenario 3: Lab Meat - Fleischgenuss aus der Retorte Dass zumindest die In-Vitro-Technologie in Zukunft tatsächlich - wenn auch weniger phantastisch wie bei Marije Vogelzang - eine weitere Alternative zur herkömmlichen Fleischproduktion sein kann, darüber waren sich auch beim Future of Meat Forum in Wien die meisten Experten einig. Mittelfristig freilich kann sie nicht nur preislich nicht mit den heute vorherrschenden Produktionsmethoden konkurrieren, in Deutschland muss sie auch die hohe Hürde der bei den Konsumenten vorherrschenden Skepsis gegenüber neuen Technologie bei der Lebensmittelproduktion überwinden. Eine Hürde, die nicht viel niedriger erscheint als die, die es im Falle des vierten Szenarios zu überwinden gilt. Ein Szenario, dem zumindest auf dem Papier und in den Empfehlungen der FAO große Chancen eingeräumt werden, um eine weltweit ausreichende Versorgung mit lebenswichtigen Proteinen bei gleichzeitig umweltschonender und tierethisch verträglicher Produktion gewährleisten zu können. Szenario 4: Another Meat - Die Proteinquellen der Zukunft Ein Szenario, das nicht eine komplett fleischlose, sondern eine auf „anderem Fleisch“ basierende Ernährung in den Mittelpunkt stellt: Fleisch von Insekten, Schnecken und „Meeresfrüchten“. Als gehypter Trend ist die Entomophagie längst auch in Europa in aller Munde. Für Millionen von Menschen gehören sie in anderen Weltregionen zum Essalltag und dass ihre massenhafte Züchtung grundsätzlich deutlich nachhaltiger bewerkstelligt werden kann, als die Massentierzucht von Geflügel und Säugetieren, darüber bestand auch bei den Teilnehmern der dritten Podiumsdiskussion, dem Schneckenproduzenten Andreas Gugumuck, dem Geschäftsführer des nachhaltig und biologisch wirtschaftenden Shrimpsproduzenten Yuu’n Mee, Robert Herman, dem Koch des Wiener Start Ups insektenessen, Stefan Trautsch, sowie Hanni Rützler kein Zweifel. Längst noch nicht ausgeschöpft freilich ist das kulinarische Potential von Larven, Würmern und Raupen, dessen Entfaltung freilich auch durch die aktuelle Lebensmittelgesetzgebung noch gehemmt wird. Zwar experimentieren auch viele Spitzenköche seit Jahren mit einzelnen Insektenarten, für den menschlichen Verzehr zugelassen sind aber in Europa nur wenige. Zudem gibt es noch starke legistische Beschränkungen für verarbeitete Produkte, in denen Experten mittelfristig allerdings die größten Chancen sehen, dass Insekten - und damit eine wichtige Proteinquelle, die es vielen Menschen weiter erleichtern würde, sich sonst vegetarisch zu ernähren - auch in unserer Esskultur Fuß fassen können: Als Pulver oder Paste, als Mehl, in Müsliriegeln, in Brötchen und Keksen oder als Bestandteil von pflanzlichen Frikadellen. Abgerundet wurden die drei spannenden Forumstage jeweils durch thematisch passende Verkostungen, für die sich die Veranstalter bei folgenden Unternehmen bedanken: Swing Kitchen, Yuu'n Mee, Landhof, Vivatis, Wiener Schneckenmanufaktur, insektenessen.at, RauReif, Sepp Moser, porcella und Bio SchoberDienstag, 22. November 2016
Donnerstag, 10. November 2016
TV-Sendung: „Die Zukunft des Essens“
„nacht:sicht“/BR - Andreas Bönte im Gespräch mit der Ernährungswissenschaftlerin, Gesundheitspsychologin und Food-Trend-Expertin Hanni Rützler und dem Koch und Insektenkochbuch-Autor Adrian Kessler.
Hanni Rützler gibt jährlich mit dem Zukunftsinstitut Frankfurt den „Food Report“ heraus. Als erste Frau weltweit hat sie im Jahr 2013 einen In-Vitro-Burger verzehrt, dessen Fleisch einer Petri-Schale entstammte. Adrian Kessler, weitgereister Koch, der stets in der gehobenen Gastronomie tätig war, beschäftigt sich seit langem mit Insekten in der Küche. In seinem neuen Kochbuch „Grillen, Heuchschrecken & Co. – Kochen mit Insekten“ gibt er einen Einblick, welche kulinarischen Möglichkeiten Insekten bieten.
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Mittwoch, 9. November 2016
Artikel: "Das Essen der Zukunft"
Gebackene Mehlwürmer als Vorspeise, dann ein gut gewürzter Burger aus gezüchteten Stammzellen und als Beilage ein kleiner Algensalat mit extra vielen Nährstoffen. Sieht so etwa das Essen der Zukunft aus? Manuel Opitz hat Hanni Rützler interviewt und für "HörZu-Wissen" einen fundierten Beitrag über Future Food geschrieben.
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Samstag, 5. November 2016
Artikel: „So schmeckt das Steak der Zukunft“
Der Fleischkonsum steigt weiterhin. Darum diskutierten Experten in Wien Alternativen. Der Kurier-Bericht zum „Future of Meat Forum Vienna“ im futurefoodstudio.
Der exklusive Festtagsbraten war einmal. Sich viel Fleisch leisten zu können, ist nach wie vor ein Zeichen für Wohlstand – und den leisten sich viele Menschen. "Fleisch ist zu einer Art Leitkultur unserer Ernährung geworden", sagt die Food-Trend-Expertin Hanni Rützler. Dieses Phänomen ist nicht nur auf Europa begrenzt. In den aufstrebenden Schwellenländern in Asien wie China steigt der Fleischkonsum. Schon jetzt gehen etwa 70 Prozent aller weltweit landwirtschaftlich genutzten Flächen auf das Konto von Viehzucht. Bis 2050, schätzt die Welternährungsbehörde, wird man 460 Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr benötigen. Damit hätte sich der Konsum in 50 Jahren verdoppelt.
Höchste Zeit also, sich Gedanken über die Zukunft von Fleisch zu machen, findet Rützler. "Fleisch ist für uns so selbstverständlich geworden." Das fördere zunehmend Gegenbewegungen: "Immer mehr Menschen suchen nach Alternativen." Möglichkeiten gibt es dafür viele, betonten diese Woche Experten beim "Future of Meat Forum" in Wien. Haben also Insekten, Laborfleisch oder Soja die besten Erfolgschancen? Oder müssen Fleischliebhaber nur ihren Konsum reduzieren? Das Konzept "Weniger ist mehr" könnte für Menschen, die nicht gänzlich auf Fleisch verzichten wollen, ein durchaus gangbarer Weg sein. Bio-Bauern wie Willi Klaffl bemerken hier ein Umdenken. Er züchtet in Langenlois Schafe und Rinder und hat sich auf alte und rar gewordene Rassen wie etwa das Waldviertler Blondvieh spezialisiert. "Zu uns kommen viele Städter, die wissen wollen, woher ihr Fleisch kommt. Und darauf viel Wert legen". Ihm ist aber bewusst, dass mit diesen Ausnahmemodellen die Masse der Konsumenten nicht erreicht werden kann – aus Preisgründen. Aber auch, weil die Mengen fehlen. (...)
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